Tomaten-Streicheln

oder

wie mache ich aus feinsinnigen Prinzessinnen wehrhafte Kriegerinnen?

Man kennt sie, die kleinen Sprösslinge langstielig, empfindsam, hellgrünig.
Man kann sie an kleine Grill­spieße binden, um ihnen Halt zu geben. Man kann ihre Köpfchen zärtlich an den Topfrand lehnen.

Aber man kann auch ganz ‚lieb‘ zu ihnen sein. Vom ersten Keimblatt an, das sich gegen den Himmel reckt, streichelt man sie.
Ganz zärtlich, mit Hingabe und möglichst oft.
Man kann seinen Odem sanft über das Grün treiben lassen, so dass sich die kleinen Hälmchen im Winde wiegen.

Für uns Menschen klingt es liebevoll. Für die kleinen Grünlinge ist das Stress pur!

Tomate Volkov junior muss sich an Bambus messen lassen.
Immer diese unerreichbaren Vorbilder aber auch!
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So ein kleiner Sprössling glaubt sich in wilder, weiter Ödniss ausgesetzt und beginnt gedrungen und wehrhaft zu werden.
Der Stengel wird dicker, das Höhenwachstum wird gebremst. Kurz die Pflanze wird kräftig und widerstandsfähig.
Das wird wissen­schaftlich als Thigmo­morpho­genese (Thigmo = θιγμός = Griechisch für Berührung; Morphogenese = μορφογενετική = Griechisch für Entstehung der Form) bezeichnet.
Und das Gen, welches dies regelt, hat den eingängigen Namen: AtGA2ox7. Sobald die Pflanze berührt wird, wird es aktiv und in der Folge werden Gibberelline abgebaut. Gibberelline regulieren das Wachstum der Pflanzen. Wenig Gibberelline = wenig Höhe, das wäre die Daumen mal Pi-Formel.
Doch wie weit geht der Widerstand über Wind und Wetter hinaus?

Das ist jetzt ganz besonders interessant und nicht zu vernachlässigen!
Häufige Berührungen werden von Pflanzen als Schädlings­angriff gewertet. Geschieht das im Sprösslingsalter, wappnen sie sich also von Klein auf dagegen. Und das zeigt Resultate. Versuchs­pflanzen, die intensiv berührt wurden, hatten bei Pilzbefall eine um 1/3 kleinere befallene Fläche und auch die Kohlspannerraupen frassen 1/3 weniger der gedrungenen Pflanzen.
So werden die kleinen Pflänzchen stärker und wehrhafter, nicht nur gegen Wind und Wetter, auch gegen Untier und Unbill.

Manche praktizieren das Streicheln von Pflänzchen schon lange, haben sich aus Zeitungspapier kleine Kämme gebastelt, andere üben die Finger­feinmototrik an den Jungpflanzen und ganz selten und nur bei altgedienten Offizieren in Mode werden die kleinen Reihesteher kräftig und feucht angebrüllt.

Und da wären wir an dem Punkt der Relativität.
Uns erscheint der Umgang und die Zuneigung zu den kleinen grünen Erd­bewohnern liebevoll und sie sehen darin einen Akt der Agression und eine Uner­bittlichkeit des Schicksals.
Ergeben rüsten sie sich, um im späteren Leben als ausgewachsene Pflanze all dies zu meister, was die Welt für sie bereit hält.

Und das ist der Weg von der Prinzessin zur Kriegerin

Was zum Weiterlesen:
Chehab, E. W., et al. (2012): Arabidopsis Touch-Induced Morphogenesis Is Jasmonate Mediated and Protects against Pests. In: Current Biology, online: 5. April 2012
An der LVA in Heidelberg wird immer wieder zu diesen Themen geforscht. Beispiel

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