unanständige Pflanzennamen

… oder Jugendschutz

Schon immer wurde sich der Kopf darüber zerbrochen, was kann man der Jugend von heute zumuten?
Wann überfordert man die Heranwachsenden?
Was fördert den Sittenverfall?

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Herr Czech hatte 1898 dazu eine sehr deutliche Meinung.
Jelängerjelieber sowie Liebstöckel und Gretl im Busch gehören zu den unanständigen bzw. eine unanständige Deutung zulassende Pflanzennamen.
Daher sind diese im Schulunterricht nicht zu gebrauchen.

Dabei hat das hübsche Jelängerjelieber für seinen wissenschaftlichen Namen einen Mathematiker, Botaniker und Stadtarzt als Taufpaten. Also durchaus eine ehrenwehrte Person und Mathematik ist ebenso im Schulunterricht zu gebrauchen.
Der Frankfurter Adam Lonitzer (1528 – 1586), der sich um hip zu sein latinisierte und Adamus Lonicerus rufen ließ, war der Namenspatron.
Dementsprechend heißt Jelängerjelieber nun auch Lonicera caprifolium.

Das ‚caprifolium‘ steht für Geißblatt und könnte 3 Wurzeln haben:

1) Die Pflanze windet sich geschickt wie eine Ziege überall hinauf.
2) Das Blatt sieht einem Ziegenfuß verflucht ähnlich.
3) Ziegen futtern gerne diese Blätter.

Mag nur eines oder alles zutreffen, es sind sinnvolle Erklärungen.

Nun jedoch zum interessanten Jelängerjelieber.
Je länger wir den Duft einatmen, je lieber haben wir ihn?
Jelängerjelieber ist eine klassischer Liebeslaubenbewuchs.
Wer weilt nicht gern im schwülen betörenden Duft an der Seite des Liebsten auf Erden?

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Ein Liebespaar, zwei Findelkinder, genügsam aufgewachsen auf der Insel Lesbos:
Daphnis und Chloe
Chloe, die in einer Nymphenhöhle gefunden wird, wächst bei Schafhirten auf und Daphnis, welcher von einer Ziege gesäugt wird, bei Ziegenhirten.
Und die beiden verlieben und verirren sich in den Wirrungen der Gefühle, finden wieder zueinander und entscheiden sich für das einfache, gemeinsame Leben am Lande.
Im Grunde nicht anders als im heutigen Liebesblockbaster. Aber andere Zeit, andere Schauplätze, andere Berufe und keine Autos.
Damals wurde Jelängerjelieber als Laubenpflanze eingeführt.
Denn Daphnis saß mit seiner Mutter in der Geißblattlaube und hörte, dass Chloes Mutter solange mit Tochter zu Besuch bleiben wollt, wie das Geißblatt blühte.
Und welches Stoßgebet richtete wohl Daphnis an Aphrodite?
Ja, das um eine lange, lange Blüte!
Und Aphrodite war auch gnädig und so konnten Chloe und Daphnis durch den Duft vereint, einander sehr lange tief innig in die Augen sehen und sich lieben.
So ist dieser rankende Schatz von Aphrodite persönlich geadelt.


Daphnis und Chloe von Cortot stehend im Louvre,
Wikicommon

Longos der Autor verkündete in dem antiken Stück ‚Daphnis und Chloe‘:
„Denn gegen den Eros hilft kein Mittel, nicht was getrunken, nicht was eingenommen, nicht was in Zauberliedern ausgesprochen wird;
keines als Kuss und Umarmung und Zusammenliegen mit nackten Leibern.“

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Und doch das Ansehen einer Pflanze unterliegt dem Wandel der Zeit.
Nicht nur in der Schule war Jelängerjelieber in Verruf geraten auch anderorts wurde das liebliche Gehölz um 19hundert nicht sehr geschätzt. Auch die Literatur sprach nicht schön von ihm. Das folgende Zitat ist aus Ludwig Ganghofers ‚Edelweißkönig‘ von 1886.
Nachdem sehr gut über die wärmende Wirkung des Efeus auf Bäume gesprochen wurde, läßt man sich nun gnadenlos über Jelängerjelieber aus:
»Da hast recht! Aber es denken net alle wie der Efeu. Wie’s oft im Leben is, daß man von eim, dem man nix als Lieb erwiesen hat, bloß Wehdam und Kümmernis erfahrt, schau, grad so geht’s im Wald zu, hat mein Vater gsagt.« Veverl spähte umher. »Es ist keins in der Näh. Aber ’s Geißblattstäudl und ’s Jelängerjelieberpflanzl, dös sind a paar söllene Heimtücker! Ja, ich sag dir’s! So freundlich sind s‘ zum anschaun und haben so a scheinheilige Wesen! Ganz zutraulich schleichen s‘ daher, und wie s‘ dös gute Bäuml beim Zwickl haben, kreisen s‘ in d‘ Höh, gierig und gfressig, lassen nimmer aus, wie mit eiserne Klammern würgen s‘ und schneiden Furchen eini in d‘ Rinden, daß dem armen Bäuml schier der Schnaufer ausgeht.«

Moral:
Lass dir nichts vom Zeitgeist verderben!

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